China

"China ist ein einziger Umweg", ist eine häufig zutreffende Beschreibung für das bevoelkerungsreichste Land. Andererseits erhoehen Umwege die Ortskenntnis und ohne Ortskenntnis kann man schnell mal auf dem Holzweg landen.
China Flagge


Bereits in der noerdlichen Hälfte Vietnams wird der Einfluss Chinas deutlich. Vermehrt sieht man chinesische Schriftzeichen, und das grelle, chinesische Rot sticht ins Auge. Auch auf den Produkten prangen häufiger die bekannten Worte "Made in China". Zu Fuss überqueren wir die Brücke über den Roten Fluss von LauCai in Vietnam nach Hekou in China. Mit einem herzerfrischenden Rotzen empfängt uns der chinesische Grenzbeamte. Wir füllen eine Erklärung aus, dass wir keine Vogelgrippe haben und bekommen schliesslich unsere Einreisestempel.
Mister C. Spitting

Während man in Südostasien gut mit Englisch durchkommt, wird es in China ohne Chinesisch häufig sehr haarig. Doch zum Glück bin ich mit Claus unterwegs, der bereits einige Jahre in China lebt und fliessend Chinesisch spricht.


An der Busstation gilt es zunächst noch einen äusserst lästigen Halsabschneider, den sogenannten Sniper, abzuschütteln. Wie eine Zecke hängt er sich an ahnungslose Touris und verlangt 30 % des Ticketpreises für Gepäckstücke über 5 kg. Er gibt sich als second manager aus und droht damit die Polizei zu rufen. Schliesslich wird er sogar handgreiflich und fängt an zu schlagen. Selbst als wir seine Mathematikkünste anzweifeln und ihm vorrechnen, dass 30 % von 90 Yuan nicht 30 Yuan sondern nur 27 sind, lässt er nicht locker. Bis in den Bus hinein verfolgt er uns und will unsere Rucksäcke ausladen lassen. Der Busfahrer zählt ihn schliesslich an: "Noch 2 Minuten!" Danach fliegt die lästige Bazille endlich in hohem Bogen aus dem Bus. Die Nachtfahrt nach Kunming kann losgehen.

Im Liegebus mit drei Stockbettreihen komme ich mir vor wie ein Batteriehuhn. Kaum das erste Fahrbier entkorkt kracht es ploetzlich links am Bus. Auf dunkler Landstrasse hält der Bus sofort an. Der Fahrer steigt aus und leuchtet mit der Taschenlampe über die Strasse. Im Lichtschein erkenne ich zwei Bambusbüschel und den abgebrochene Busspiegel. Hat wohl ein entgegenkommender Kleinlaster mit seiner Ladung den Bus rasiert. Vom Buspersonal hält jemand ein Taxi an und nimmt die Verfolgung des Unfallgegners auf. Kurz darauf schwingt sich auch der Busfahrer wieder in seinen Sitz, wendet und rast wie angestochen dem Taxi hinterher. Nach 20 Minuten ist der Täter gestellt. Die Verhandlungen ziehen sich über eine Stunde hin, ohne dass jemals die Polizei dazu gerufen wird. Im Bus guckt man sich unwissend an, sofern man nicht schon schläft.

Schliesslich geht es weiter durch die dunkle Nacht. Die Strasse ist nicht die Beste und der Bus nicht der Langsamste. Mehrmals schleudert es mich aus der Liege in die Luft. Mit einem schmerzerfüllten "Aaarrgh" quittiere ich die Landung. Eine mitreisende Chinesin kreiert mit ihrem Mageninhalt surreale Muster aussen an die Scheibe. Trotz der Verzoegerung durch den Unfall kommt der Bus über eine halbe Stunde vor Plan in Kunming an. Meine Knochen wissen warum.

Kunming liegt mit seinen 56 Mio Einwohnern auf 1890 m Hoehe. Die Stadt des ewigen Frühlings begrüsst und mit nasskaltem Herbstwetter. Wir befinden uns in einer modernen Grossstadt mit vielen Hochhäusern, breiten Strassen, unzähligen Geschäften, hektischen Menschen und Verkehrslärm. Die meisten Gebäude und Strassen sind neu. Vieles wirkt dadurch steril.

Von einer Anhoehe im Südwesten der Stadt kann man den Blick über Kunming und den riesigen, benachbarten See geniessen. Erst hier bekommen wir ein Bild von der Ausdehnug Kunmings.
Kunming Kunming


Nahe Kunming befindet sich der Steinwald, eine skurrile Karstlandschaft aus Kalksteinfelsen. Die kleinen Pfade zwischen den Felsen durch sind die spannensten. Das Rennen zum Treffpunkt, an dem Kathrin wartet, verliere ich kläglich. Stattdessen verirre ich mich zwischen den tausend Felsen.
Steinwald Range Steinwald
Steinwald Range Steinwald
Steinwald Range Steinwald


Es ist Heiligabend. Vor den Geschäften stehen Chinesinnen im Weihnachtsmannkostüm mit weissen Zoepfen unter roter Mütze. In den Schaufenstern stehen Plastikweihnachtsbäume und an jeder Ecke lese ich "Merry Christmas". In den Strassen werden neben Nikolausmützen federverzierte Augenmasken wie beim Fasching verkauft. Weihnachten erscheint mir hier wie eine Werbeveranstaltung mit karnevalistischen Auswüchsen. Vermutlich wissen wenige Chinesen, was es genau mit Weihnachten auf sich hat.

Claus und ich treffen wie verabredet unsere Freunde Ulrike, Wolfram und Kathrin, die aus Deutschland eingeflogen sind. Zusammen wollen wir die nächsten drei Wochen die Provinz Yunnan im Süden Chinas bereisen. Nach einem gemütlichen Weihnachtsessen in einem ehemaligen Bahnhof bescheren wir uns gegenseitig auf dem Hotelzimmer. Neben Caipirinha haben wir sogar einen Weihnachtsteller mit Schokolade und Weihnachtsplätzchen.
Gabentisch Plakat


Am zweiten Weihnachtstag geht es durch abwechslungsreiche Berglandschaft mit dem Zug nach Dali. Obwohl die Stadt nach einem Erdbeben komplett neu aufgebaut wurde und mittlerweile viele Touristen anzieht, hat sie noch den Charme einer altertümlichen Bergstadt erhalten. Die Altstadt ist durch vier massive Stadttore markiert. Westlich der Stadt erheben sich einige 3000der in den Himmel. Auf einer Wanderung entlang der Berghänge geniessen wir den Blick über Dali und den benachbarten ErHai See. Mit der Seilbahn geht es wieder ins Tal vorbei an Ständen mit Wildbienenhonig und seltenen Früchten. In Dali kommen wir endlich zu unserer knustprigen Weihnachtsente. Bei einem Daoistenmoench versuche ich mich einen Tag lang im Kong Fu. Hoch in den Bergen über der Stadt mache ich sozusagen den Affen (nach). Am naechsten Tag kommt der Kater zu Besuch, zumindest bei meinen Muskeln.
Dali Dali Dali Dali
Dali Ente
Dali Dali
Dali Dali


Lijiang ist das nächste Ziel unserer Yunnantour. Hier sind viele Menschen des Bergvolkes der Naxi zu Hause. In der Altstadt reiht sich ein Restaurant an das andere. Es gibt Yak Hot Pot, Lijiang Baba Reibepfannkuchen und andere Spezialitäten. Hier urlaubt der chinesische Mittelstand. Die Preise sind entsprechend hoch und die Restaurantpromoter entsprechend lästig. Wir nutzen den Ort als Basis für Ausflüge in die Tigersprungschlucht und zum Luguhu See.
Lijiang Lijiang Lijiang
Lijiang Lijiang


Die Sylvesternacht verbringen wir in einem kleinen Guesthouse inmitten der imposanten Tigersprungschlucht. Nach dem opulenten Abendessen und diversen Kartenspielen zünden wir um Mitternacht Wunderkerzen an und wünschen uns unterm märchenhaften Sternenhimmel ein neues Jahr.
Tigersprungschlucht Tigersprungschlucht


Der Lugu See auf 2690 m ist vor allem durch das Volk der Mosuo bekannt. Die Menschen leben im Matriarchat, d.h. Mutter=Boss. Eine Ehe wie bei uns gibt es dort nicht. Die Mutter ist der Kopf der Familie. Die Söhne leben ihr ganzes Leben bei ihrer Mutter. Erst mit 12 Jahren erfahren die Kinder, wer ihr leiblicher Vater ist.
Lugu Lake Lugu Lake

Die Frauen kümmern sich nicht nur um die Erziehung ihrer Kinder, sondern arbeiten nebenher wie die Pferde. Wenn sie nicht gerade ein Kind auf dem Rücken tragen, sieht man sie Kiepen voller Hühnermist, Holz oder sonstwas umherschleppen. Oder sie rudern die schweren Holzboote. Viele der Frauen haben ein Kreuz wie ein Preisboxer und Handgelenke, wie Bergmänner. Die Männer hingegen lungern in der Ecke herum. Manche kloppen Steine und befestigen den Weg, andere bauen Häuser aus Holzstämmen. Ob diese Form des Matriarchat nun für viele Frauen erstrebenswert ist, mag ich zu bezweifeln.


Auf jeden Fall ist die Atmosphäre am See sehr friedlich. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen uns auf eine kleine Insel mit einem Tempel rudern. Die bunten Gebetsfahnen um den Tempel weisen auf die Nähe Tibets hin. Auf der Insel angekommen erblicken wir am Himmel eine dicke Wolke namens Bertha. Bertha hat sich am Himmel festgesetzt und beschert uns Windstärken 4-5 Bft. Bei Schaumkronen auf dem Wasser ist an eine Rückfahrt im Ruderboot nicht zu denken, zumal das Wasser eiskalt ist. Es wird später und später und der Wind flaut nicht ab. Bei Einbruch der Dunkelheit fragen wir schliesslich die Tempelwächter, ob wir bei ihnen im Anbau übernachten können. Sie stimmen zu. Bei fettigem Buttertee und Kartoffeln sitzen wir um die Feuerstelle und überlegen, wie wir in dem völlig verrauchten Raum die Nacht verbringen. Zur Ablenkung spazieren wir unterm Sternenhimmel noch eine Runde um die Insel und singen ein scheinbar unerschöpfliches Repertoire an Liedern in die Nacht. Auf ein paar provisorischen Decken verbringen wir schliesslich die Nacht am Feuer immer wieder unterbrochen von Hustenanfällen aufgrund der starken Rauchentwicklung. Am Morgen ist Bertha verschwunden und wir können zurückrudern. Zur Entspannung gönnen wir uns nachmittags noch ein Bad in den nahegelegenen heissen Quellen.
Lugu Lake Lugu Lake
Steckdosenkind Lugu Lake Schnarch


Zurück in Lijiang geniessen wir einen Blackbird Hot Pot. Aus der dunklen Brühe lugen Mistkratzer und Kamm des havarierten, schwarzen Huhnes. Anschliessend geht es im Liegebus wieder nach Kunming. Zu fünft liegen wir nebeneinander in der letzten Busreihe des Nachtbusses.


Die letzten Tage unseres Chinaaufenthaltes verbringen wir in Suzhou und Shanghai. Suzhou ist ein kleines 5 Mio. Städtchen eine Zugstunde von dem Metropolis Shanghai entfernt. Vor allem die vielen Gärten und die vielen Kanäle verleihen Suzhou einen besonderen Charme. Sehenswert ist aber auch die Lebendabteilung im Carrefour Supermarkt. Neben Fischen, Garnelen und Krabben warten auch Frösche darauf, ein neues zu Hause im geheizten Wok zu bekommen. Für seine gute Führung als Leitwolf bekommt Claus schliesslich ein besonderes Geschenk überreicht: ein Holzteller mit Lijiangmotiv und einen Heizstrahler im Wolkenkratzerdesign.
Suzhou Suzhou
Suzhou Suzhou Suzhou


Gegenüber Suzhou wirkt Shanghai surealistisch. Ein Metropolis, bei dem ich mich frage, wieviel Zivilisation der Mensch verträgt. Bereits der Bahnhof ist so gigantisch und so voller Leute, dass es ein Leichtes ist sich dort zu verirren. Die Strassen sind mehrstöckig und voller Autos. Neben kleinen, gemütlichen Reihenhäusern mit Platanen davor, wie in London, schiessen 40stöckige Wolkenkratzer aus dem Boden. Mit 431 km/h schiesst der sterile Transrapid zum Flughafen. Menschen, wohin man nur sieht, wie eine dunkle Masse. Alle Chinesen haben schwarze Haare und die meisten kleiden sich unifarben und dunkel. Dadurch wirken die Leute immer wie eine homogene Masse. Schicke Boutiquen reihen sich entlang der belebten Fussgängerzone. Hier spielt die Musik. Hier ist das Geld. Hier ist der Boom. An der schicken Uferpromenade sieht man die dicken Ozeanfrachter vorbeiziehen. Ihr Schiffshorn klingt lange nach in den tiefen Häuserschluchten. Alles ist gigantisch, Metropolis eben. Ein kleiner Besuch bei der Niederlassung meines Ex-Brötchengebers ist natürlich Ehrensache.
Shanghai Shanghai
Shanghai Shanghai
Shanghai Shanghai
Shanghai Shanghai
Shanghai HDM


 

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