Auf nach Russland

Leninspruch,

sagte einst der tausendfach in Bronze abgegossene, spitzbärtige Oberrusse. Was soviel heisst wie: "Wir gehen einen anderen Weg." Und um diesen anderen Weg, nämlich den Reiseweg überland durch das grösste Land unserer Erde, geht es jetzt.

Wodka, Kreml, Putin, Moskau, usw. fallen mir als erstes ein, wenn ich Russland höre. Als nächstes kommen dann Mafia, Plattenbauten, Sozialismus, kalter Winter, Stalingrad - alles nicht gerade besonders reizvolle Gedanken für ein neues Reiseland.

Immerhin ist Russland jedoch ein wichtiges Partnerland von Deutschland und auch EU-Nachbar. In und um Russland (sowie in diversen Discountermärkten in Deutschland) sprechen insgesamt 300 Mio. Menschen Russisch. Da muss es doch noch mehr geben als nur Wodka bei den "Russen". Das will ich mir mal anschauen.

Wiesovisum?

Eine längere Individualreise nach Russland ist immer noch ein Abenteuer. Selbiges beginnt mit der Visumsbeschaffung, die wertvolle Zeit und Euros verschlingt. Da ich mehr als 30 Tage bleiben will, reicht eine einfache Privateinladung nicht mehr aus und ich brauche eine vom Russischen Ministerium bestätigte Einladung. Mit Bearbeitungsgebühr und Verschickung bin ich die ersten 100 Euros los. Einladung, Pass und Krankenversicherungsnachweis müssen dann zur Russischen Botschaft in Deutschland. Hierbei nehme ich die treuen Dienste von Visa-Express in Anspruch. Pünktlich 2 Tage vor meiner Abreise und 120 Euro später kommt mein Pass mit eingeklebtem Visum an.


Mannheim
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Riga

Bus 30.06.2005: Es geht los. Auf dem Landweg taste ich mich langsam nach Osten vor. Das hat den Vorteil, das man die Unterschiede zu Deutschland nach und nach dosiert wahrnehmen kann. Von Mannheim aus macht sich der grosse Euroliner -Bus auf die 35 Stunden Etappe bis Riga.

Baltikum Das Nackenkissen, welches mir meine netten Heidelberger Arbeitskollegen zum Abschied schenkten, lässt mich tief und weich schlafen. Es geht über Berlin nach Frankfurt/Oder und durch Nordpolen. Die Landschaft dort ist sehr schön. Es gibt viele Wiesen, Seen und kleine Dörfer. Hin und wieder sehe ich Menschen, die in ihren grossen Gärten arbeiten und dort Kartoffeln und Gemüse anbauen.

Der Bus juckelt gemütlich über die Landstrasse. Die Federung ist ok, so dass die Fahrt recht angenehm ist. Es ist ein Doppeldeckerbus, die Passagiere sitzen oben, unten ist WC und man kann sich an einen Tisch setzen, Kaffee trinken oder sich eine Mikrowellenpizza (erinnert an einen Pfannkuchen mit Hackfleisch) schmecken lassen. Mit mir im Bus sitzen einige ältere Herrschaften, die ein Mix aus Russisch und Deutsch sprechen, als auch einige jüngere Leute, von denen einige in Litauen aussteigen. Die Pausen werden meist ausgiebigst zum Rauchen genutzt. Neben mir sitzt Kalle aus Estland. Er arbeitet als Landschaftsgärtner bei Stuttgart, wo seine Freundin wohnt. Obwohl er ein wenig Deutsch versteht, unterhalten wir uns auf Englisch. Mit einem Schluck Nordhäuser Kornbrand stossen wir auf die Busfahrt an und lassen uns in den Schlaf schaukeln.

Fest Nach 35 Stunden erreicht der Bus schliesslich Riga. Dort verbringe ich 2 schöne Tage bei Stefan und Agnese, die mich sehr nett empfangen. In der schönen Innenstadt von Riga ist gerade ein grosses Sängerfest und Gruppen aus allen Landesteilen kommen in typischer Tracht zusammen. Die Stadt ist in Festivalstimmung und die Menschen sind fröhlich.

Rigaturm In und um Riga haben sich viele Industriebetriebe angesiedelt. Neue Einkaufszentren entstehen. Auf den Strassen bewegt sich ein Gemisch aus Autos westlicher und östlicher Herkunft. In Riga leben 50 % Russen, so dass ich einem Sprachgemisch aus Russisch und der Landessprache Lettisch begegne. Russisch scheint häufig der gemeinsame Nenner zu sein, da die Russen kaum Lettisch können, die Letten aber in der Schule Russisch lernen. Die Russen sind gegenüber den Letten meist schnell zu erkennen. Grobe Gesichtszüge, düstere Miene, schwarze Kleidung, adidas-Trainingshose und BMW mit gentönten Scheiben.


Riga
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St.Petersburg

RuBus Ein weiteres Mal beehre ich Eurolines. Diesmal für den Übernachtritt nach St.Petersburg. Ab jetzt höre ich kein Lettisch mehr, es wird nur noch Russisch gesprochen. Der Bus ist von deutlich schlechterer Qualität, einschliesslich des Fahrers. Dieser muss zusehen, wie ein Bahnschranke auf seinen schon von mehreren Schlachten gezeichneten Bus niedergeht. Schranke Er konnte nicht rechtzeitig anhalten und stand schon mit der Nase auf den Gleisen. Die Matka aus dem Schrankenhäuschen ist völlig aus selbigem und eilt herbei. Babuschka lugt nur kurz hinter der Gardine hervor, bleibt aber in dem Hüttchen sitzen. Irgendwie wird die Schranke dann wieder angehoben und der Bus kann zurücksetzen, bevor der ewiglange Zug vorbeirauscht. Der Sonnenuntergang dauert ewig. Bis kurz vor Mitternacht ist immer noch ein orangefarbener Saum am Horizont erkennbar.

An der Grenze zwischen Lettland und Russland wird es ruhig im Bus. Erst kommt der Grenzbeamte mit der grossen Tellermütze in den Bus und sammelt die Pässe ein. Meinen Pass will er jedoch nicht. Dann wird der komplette Bus samt Gepäck evakuiert. Im Grenzhäuschen geht es durch Pass- und Gepäckkontrolle. Ich komme als letzter dran. Trotz übelster Mine der Beamtin komme ich problemlos durch die Passkontrolle. Beim Durchleuchten meiner Gepäckrolle mit den Motorradsachen werde ich dann von den Grenzbeamten auf Russisch gefragt, was das denn sei. "Ich möchte ein Motorrad kaufen", stammle ich in rudimentärem Russisch. "Naja, mach du mal", werden die Beamten sich wohl gedacht haben und winken mich gelangweilt durch.

Dann geht die Fahrt durch die Nacht weiter. Die schmale Landstrasse ist bucklig und übersät mit Schlaglöchern. Gnadenlos treibt der Fahrer den Bus über die Piste. Im Scheinwerferlicht sehe ich Eulen und Rehe in Todesangst vor dem heraneilenden vierrädrigen Schicksal fliehen. Eher schlecht als recht schaffe ich es schliesslich zu schlafen. Völlig verknatscht wache ich auf, als der Bus den Stadtrand von St.Petersburg erreicht.

Denkmal Meine Augen sind noch völlig verquollen, als ich ein riesiges Soldatendenkmal sehe. Es erinnert an die Verteidigung Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Der Bus fährt weiter über die breite, mehrspurige Ausfallstrasse in Richtung Zentrum vorbei an hohen, grauen und beigen Gebäuden. Endstation ist der Baltische Bahnhof. Obwohl es erst halb sieben Uhr morgens ist, brennt die Sonne schon sehr. Halb wach stehe ich nun hier mit meinem ganzen Gepäck und habe keine Ahnung wie und wo ich zu meiner Sprachschule komme.