Die Allmächtige


Team Irbit
Da steht sie nun, ein Traum in Rot. Auf dem Windschild und dem Beiwagen prangen die russische und die deutsche Flagge, daneben mein Name und der Ravils Firma sowie Irbit und Heidelberg. Unglaublich, was die Jungs hier alles machen. Mehrere Tage haben die Mechaniker über 11 h am Tag geschraubt, lackiert, eingestellt, gefeilt und poliert. Bis in alle Einzelteile war die Maschine zerlegt. Der Rahmen und sämliche Karosserieteile wurden neu lackiert. Alles wurde überholt und neu eingestellt. Vor mir liegen nun einige Tausend km auf dem Rücken der Allmächtigen mit ihren 650 ccm und bulligen 32 PS, geboren im Jahre '97. Mein Gepäck und einen Haufen Ersatzteile kann ich bequem im Beiwagen verstauen. Ural steht übrigens nirgendwo dran. Auf dem Emblem sind die kyrillischen Buchstaben IMS zu erkennen. Das steht für Irbitski Motozykletni Sawod, was (analog zu BMW) Irbiter Motorrad Werk bedeutet. Die genaue Typbezeichnung ist dementsprechend IMS-8.103.01V.
Motor Boot
Gerippe Kraftwerk
Noch viel zu tun Werbeträger
Sergej und Ravil Ravil und Johann
Todopoderosa Reparaturschrott


Die ersten Meter

Der Motor hört sich gut an, schnurrender Boxersound. Antreten lerne ich später. Erst einmal gucke ich zu wie Sergej das Boot zum Abheben bringt. Dann sitze ich das erste Mal auf der Allmächtigen im ausladenden Schwingsattel, Pelmeni genannt. Das erste Mal auf einem Gespann. Meine grossen Füsse fädele ich zwischen das Gewirr von Vergaser, Zylinder und Schalt- bzw. Bremshebel. Mit lautem Schnalzen lege ich den ersten Gang ein. Dann drehe ich das erste Mal am Gasgriff. Es ruckelt, zuckelt, rupft und schuckelt und ich tuckere los. Das Fahrgefühl ist irgendwo zwischen Rasenmäher und Rüttelplatte. Wie ein Berserker muss ich am Lenker ziehen, um die Fuhre in die Kurve zu kriegen. Das Beiwagenrad radiert indessen munter auf dem Asphalt. Fahren heisst hier körperlich arbeiten. Die allmächtige Ural ist nicht unbedingt für die schnelle Kurvenhatz gebaut. Sie ist eher ein Arbeitstier und für den kompromisslosen, direkten Weg zur Front gebaut worden. Dann das erste Mal im Rückwärtsgang, das Geräusch beim Gangeinlegen ist, als wenn man einen Schraubenzieher in die laufenden Zahnräder steckt. "Vorsicht beim Einlenken und Gasgeben, sonst begräbt dich die Fuhre", werde ich belehrt. Bremsen? Weiss nicht, habe bis heute noch nichts ähnliches gefunden. Am Lenker gibt es wohl so einen Wunschhebel. Es heisst, dass, wenn man dran zieht, man sich was wünschen kann.

Dann fahre ich eine grössere Proberunde auf der Strasse. Nach 7 km, ausserhalb von Irbit geht mir der Motor aus, es stinkt nach Bremse und Rauch steigt von der hinteren Nabe auf. "Prost Mahlzeit", denke ich. Händi habe ich natürlich in der Werkstatt vergessen und Ravil war auch gerade weggefahren. Die hintere Nabe ist hölleheiss und ich kann die Fuhre kaum auf den Seitenstreifen schieben. Zum Glück kommt gerade ein weiterer Gespanntreiber vorbei, den ich wild winkend anhalte. In meinem Russisch kann ich nur zeigen und sagen: "Dort! Sehr heiss." Kolya, der Junge auf dem Gespann, guckt sich die Lage gelassen an, packt einen Schraubenschlüssel aus und löst etwas die hintere Bremse. Auf einmal lässt sich die Fuhre wieder schieben. Dann hilft er mir noch beim Antreten und ich kann wieder zurück in die Werkstatt fahren.
Todopoderosa Todopoderosa
Todopoderosa Sergej in Schräglage